Inklusives Recruiting: So schaffen Sie faire Chancen für alle Talente

Viele Unternehmen möchten inklusiver rekrutieren, doch Bewerbende mit Behinderungen berichten von fehlender Transparenz und Barrierefreiheit. Lesen Sie, wie Sie mit präzisen Stellenanzeigen und einer stärkenorientierten Haltung mehr Bewerbungen und bessere Matches erzielen.
Stellen Sie sich vor, Sie sind auf Jobsuche. Eine Anzeige weckt Ihre Neugier. Sie klicken – doch es fehlen genau die Angaben, die erkennen lassen, ob Sie die Stelle unter Ihren Rahmenbedingungen ausüben können: Arbeitsort/Arbeitsmodell, Hinweise zur Barrierefreiheit, ein erreichbarer Kontakt. Von der Sprache in der Anzeige fühlen Sie sich nur wenig willkommen geheißen. Es fehlt jede Formulierung, die Vielfalt oder Behinderung mitdenkt. Stattdessen dominieren Begriffe wie „leistungsstark“, „belastbar“, „voll flexibel“. Der „Bewerben“-Button führt zu einem schwer lesbaren, nicht barrierefrei gestalteten Formular. Würden Sie sich bewerben?
Das ist Alltag vieler Menschen mit Behinderungen und genau hier entsteht die Diskrepanz: Unternehmen wünschen sich mehr Bewerbungen, zugleich bleiben entscheidende Informationen zu Arbeitsort, Barrierefreiheit, Kontakt und Anforderungen vage – das bremst die Bereitschaft, überhaupt zu starten, besonders bei Bewerbenden mit Behinderungen.
Um konkrete Ansatzpunkte zu identifizieren, hat myAbility, ein innovatives Social Business, dass sich für Inklusion in der Wirtschaft einsetzt, im April 2025 eine zielgruppenspezifische Online-Befragung in Deutschland und Österreich durchgeführt. Befragt wurden 191 Nutzerinnen und Nutzer der Jobbörse myAbility.jobs, die sich speziell an Talente mit Behinderung richtet. Die Ergebnisse zeigen, welche Angaben in Stellenanzeigen wirklich zählen, welche Benefits überzeugen und welche Rolle Vertrauen spielt, um Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen erfolgreich anzusprechen.
Klarheit & Präzision in Stellenanzeigen
Starten Sie mit einem klaren Profil: Welche Aufgaben, welches Ergebnis, welche Muss-Kompetenzen? Alles andere gehört transparent zu Nice-to-have. So reduzieren Sie Fehlinterpretationen und geben Talenten eine belastbare Grundlage, ob sich eine Bewerbung lohnt. Signalisieren Sie ausdrücklich, dass Bewerbungen von Menschen mit Behinderungen willkommen sind.
Klarheit in Stellenanzeigen erleichtert Bewerbenden die Entscheidung, ob eine Bewerbung sinnvoll ist. Bewerbende mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen profitieren zusätzlich, wenn Rollen klar formuliert sind. Begriffe wie „flexibel“ oder „Teamplayer“ wirken oft vage. Flexibel beispielsweise signalisiert gleichzeitig "unplanbar" und kann jene Menschen mit Behinderungen, die ihre Tage gut strukturieren müssen, abschrecken. Das trifft übrigens auch auf Jobsuchende mit Betreuungspflichten zu. „Teamplayer“ wird manchmal von Jobsuchenden mit Autismus als K.O.-Kriterium für eine Bewerbung genannt.
Wenn Sie stattdessen beschreiben, woran sich Flexibilität zeigt (z. B. Kernzeiten, Remote-Anteil, planbare Spitzen) und wie Zusammenarbeit aussieht (z. B. wöchentliche Abstimmungen, feste Schnittstellen), entsteht Verlässlichkeit. So wird sichtbar, was die Rolle wirklich verlangt – und dass strukturierte Arbeitsweisen willkommen sind. Ein kurzer Hinweis auf Barrierefreiheit und eine genannte Ansprechperson runden das Bild ab und senken die Hemmschwelle, den ersten Schritt zu machen.
Ein wirksamer Hebel für inklusives Recruiting ist Stärkenorientierung, das heißt der Fokus liegt auf Aufgaben und Fähigkeiten und nicht auf Diagnosen oder Lücken im Lebenslauf. © stefanjoham.com / myability0322
Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice, Erreichbarkeit
Benefits sind ein klarer Wettbewerbsfaktor: Ein sichtbar platziertes und verständlich benanntes Angebot überzeugt Bewerbende und unterstützt Bindung. Wichtig ist die Sichtbarkeit – Benefits nicht „verstecken“, sondern früh im Prozess auffindbar machen. Das erleichtert die Selbsteinschätzung und reduziert Rückfragen im Erstkontakt.
Denken Sie Benefits inklusiv: Angebote, die Menschen mit Behinderungen ansprechen, sind auch für viele andere Zielgruppen relevant – zum Beispiel für Personen mit Betreuungspflichten.
Besonders häufig genannt wurden in unserer Befragung:
- Flexible Arbeitszeiten
- Homeoffice-Möglichkeiten
- Gute Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln
Tipp: Neben baulicher/technischer Zugänglichkeit zählt eine lösungsorientierte Haltung – etwa Bedarfe offen anzusprechen, gemeinsam nach Anpassungen zu suchen (Arbeitszeit, Arbeitsort, Hilfsmittel). So lässt sich pragmatisch starten, auch wenn noch nicht alles ideal ist.
Diskriminierungen vermeiden & Vertrauen stärken
Unsere Befragung zeigt: 78 % der Teilnehmenden fühlen sich immer, häufig oder manchmal im Bewerbungsprozess diskriminiert: „Ich fühle mich diskriminiert, wenn es nicht mehr um den Job geht, sondern nur darum, was ich alles brauchen werde“, war zum Beispiel in einem Umfragekommentar zu lesen. Gleichzeitig legen nur 46 % ihre Behinderung offen. 37 % entscheiden das abhängig vom Unternehmen. Das zeigt: Vertrauenssignale und Inklusionswissen bestimmen mit, ob Menschen ihre Behinderungen oder chronischen Erkrankungen offenlegen oder nicht.
Wie kann man dem entgegenwirken? Ein wirksamer Hebel ist Stärkenorientierung als Leitbild im Recruiting.
Das bedeutet, dass der Blick auf Aufgaben und Fähigkeiten und nicht auf Diagnosen oder Lücken im Lebenslauf gelegt wird. Das braucht Übung. Um den Umgang mit Menschen mit Behinderungen in Bewerbungsgesprächen sensibler zu gestalten, empfehlen sich für Recruiterinnen und Recruiter oder Hiring Manager regelmäßige Schulungen zu Behinderungsformen sowie zu praktikablen, lösungsorientierten Optionen der Barrierefreiheit. Dazu gehören zum Beispiel alternative Interviewformate (remote, mit Assistenz oder Begleitperson), der Einsatz von Gebärdensprach- oder Schriftverdolmetschung, zusätzliche Pausen- oder Zeitpuffer sowie barrierefreie Unterlagen und Online-Formulare.
Idealerweise schaffen Sie Berührungspunkte – etwa durch Role Models unter Mitarbeitenden mit Behinderungen, die Angebote glaubwürdig kommunizieren und an der Gestaltung von Prozessen mitwirken. So steigt die Fairness im Verfahren, Gespräche werden konkreter – und die Passgenauigkeit der Besetzungen verbessert sich.
Fazit und Ausblick
Wer inklusiv rekrutiert, gewinnt: Präzise Stellenanzeigen, sichtbare Benefits und eine stärkenorientierte Haltung im Recruiting erhöhen die Passgenauigkeit und senken Hürden, sich zu bewerben.
Unsere Befragung bestätigt: Es sind vor allem klare Informationen und professionelle Prozesse, die den Unterschied machen. Wenn Sie jetzt an drei Punkten ansetzen – Anzeigen schärfen, Benefits sichtbar machen, Stärkenorientierung verankern – verbessert sich die Candidate-Experience spürbar.

