Fachkräftebedarf bleibt in

Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich zum Jahresstart weiterhin aus einer strukturellen Krise heraus – erste Impulse, die zuversichtlich stimmen, sind erkennbar. Das zeigt sich auch am Arbeitsmarkt. Die Fachkräftenachfrage bewegt sich in den ersten drei Monaten des Jahres nur leicht nach oben. Wie diese zaghafte Entwicklung bei der Stellensuche gesamtwirtschaftlich einzuordnen ist, erläutert Dr. Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Der Hays-Fachkräfte-Index weist für das erste Quartal ´25 ein zaghaftes Wachstum von 7 Prozentpunkten gegenüber dem Vorquartal aus. Für wie richtungsweisend halten Sie dieses kleine Nachfrageplus angesichts des starken Rückgangs im Jahr 2024 über alle Quartale hinweg?
Dr. Oliver Stettes: Betrachtet man die Zahl der Stellenausschreibungen aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, ist die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften in den letzten beiden Jahren stetig zurückgegangen. Große strukturelle Herausforderungen, geoökonomische und geopolitische Unsicherheiten und ein politisches Umfeld, das für wenig Optimismus in den Chefetagen sorgte, haben hier ihren Niederschlag gefunden. Eine neue Bundesregierung, die mit einem kräftigen Investitionsimpuls der Wirtschaft Schub verleihen und zugleich endlich auch bürokratische Fesseln lösen möchte, bietet die Chance auf einen Neuanfang.
Ob der vorsichtige Anstieg im Fachkräfte-Index bereits eine Trendwende signalisiert, bleibt fraglich. Für das Jahr 2025 sind insgesamt noch keine spürbaren Verbesserungen am Arbeitsmarkt absehbar. Die Hoffnungen richten sich daher auf 2026 – vorausgesetzt, die innenpolitischen Reformen zeigen Wirkung und das internationale wirtschaftliche Umfeld stabilisiert sich.
Beim Blick auf die Stellengesuche fällt auf, dass vor allem Fachkräfte für Schlüsselpositionen in den Corporate Functions gesucht werden, z.B. strategische Einkäufer, Vertragsmanager oder auch Datenbankentwickler. Merken Unternehmen, dass diese Positionen angesichts geopolitischer und digitaler Herausforderungen aktuell strategisch wichtig werden? Wie erklären Sie sich diesen Fokus?
Dr. Oliver Stettes: Der Anstieg im Fachkräfte-Index zeigt erneut die Spaltung, die zuletzt den Arbeitsmarkt gekennzeichnet hat. Denn der Bedarf an Fachkräften, die die Digitalisierung in den Unternehmen vorantreiben, neue Geschäftsmodelle entwickeln und die internationalen Aktivitäten neu ausrichten, ist weiterhin hoch. Spezialistinnen und Spezialisten in den strategisch relevanten Bereichen bleiben daher gefragt.
Für wie sinnvoll halten Sie es, hohe Lohnkosten für Fachkräfte – etwa in der IT oder im Einkauf – durch Produktivitätssteigerung oder Personalabbau zu finanzieren?
Dr. Oliver Stettes: Diese Maßnahmen müssen differenziert betrachtet werden – sie schließen sich nicht gegenseitig aus. Wo sich Geschäftsmodelle verändern und bestimmte Qualifikationen weniger gebraucht werden, wird es zu Anpassungen beim Personal kommen müssen. Gleichzeitig gilt: In Bereichen mit wachsendem Bedarf werden Unternehmen alles daransetzen, qualifizierte Mitarbeitende zu halten, weiterzubilden oder neu zu gewinnen – schon allein wegen des zunehmenden Fachkräftemangels infolge der demografischen Entwicklung. Hohe Löhne für gesuchte Fachkräfte wirken dabei wie eine „Knappheitsprämie“: Sie sind ein Anreiz für Beschäftigte, sich weiterzuentwickeln oder neue Qualifikationen zu erwerben – und für Unternehmen, in Produktivität und Ausbildung zu investieren, statt allein auf Kostensenkung zu setzen.
Wie sind Ihre Beobachtungen hinsichtlich Automatisierung und Künstlicher Intelligenz bei bestimmten Tätigkeiten. Machen sich diese Entwicklungen schon bei der Nachfrage bemerkbar?
Dr. Oliver Stettes: Der Einfluss von Automatisierung und insbesondere Künstlicher Intelligenz auf den Arbeitsmarkt wird in der öffentlichen Debatte und medialen Berichterstattung mitunter überschätzt. Unbestritten ist, dass technologische Entwicklungen wie KI-Anwendungen ein erhebliches Potenzial zur Steigerung der Produktivität bieten. Dieses Potenzial entfaltet sich jedoch nur in Bereichen, in denen ihr Einsatz möglich, sinnvoll und wirtschaftlich ist. Viele Unternehmen sind allerdings noch dabei, nach einem tragfähigen Business Case für KI zu suchen. Wo dieser bereits identifiziert wurde, stellt sich die nächste Herausforderung: Wie lässt sich das Potenzial von KI tatsächlich ausschöpfen – und verfügen die Beschäftigten über die dafür notwendigen Kompetenzen und Qualifikationen? Angesichts dessen ist es kaum überraschend, dass die Nachfrage nach IT-Fachkräften weiterhin hoch bleibt.
Zur Person:
Dr. Oliver Stettes leitet seit dem 1. September 2022 das neu gebildete Forschungscluster Arbeitswelt und Tarifpolitik im Institut der deutschen Wirtschaft. Bereits in den zwölf Jahren zuvor war er in leitender Funktion für die Forschungsarbeiten im IW zuständig, die sich mit der Entwicklung und Funktionsweise von Arbeitsmärkten, der Transformation der Arbeitswelt und dem Personalmanagement von Unternehmen beschäftigen.
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