Generationenwechsel: mehr als nur Stabübergabe
In vielen Unternehmen stehen Generationswechsel an: Erfahrene Fachkräfte verabschieden sich in den Ruhestand und mit ihnen droht wertvolles Wissen verloren zu gehen. Entscheidend ist deshalb, diesen Übergang nicht nur organisatorisch zu begleiten, sondern aktiv als gemeinsamen Entwicklungsprozess zu gestalten.
Der demografische Wandel verändert die deutsche Arbeitswelt bereits spürbar. Arbeitsmarktforscher prognostizieren eine dramatische Entwicklung: Bis 2035 werden voraussichtlich rund sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen. Als Hauptgrund für diese Einschätzung führen sie den kontinuierlichen Übergang der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand an. Sie sind sich darin einig, dass weder Zuwanderung noch nachrückende Generationen diese personelle Lücke vollständig schließen können.
Verschärfend zeigt eine Hays-Umfrage: In jedem siebten Unternehmen sind über 40 Prozent der Belegschaft älter als 60 Jahre. Damit steht in wenigen Jahren fast die Hälfte der Mitarbeitenden vor dem Ruhestand – und mit ihnen droht wertvolles Wissen verloren zu gehen. Doch statt den Abschied der Babyboomer-Generation als Chance für einen gezielten Wissenstransfer zu nutzen, behandeln viele Unternehmen diesen Wandel lediglich administrativ – als wäre er nur eine einfache Staffelstab-Übergabe. Ganz so, als ließen sich jahrzehntelange Berufserfahrung, implizites Wissen und gewachsene Netzwerke von heute auf morgen einfach weitergeben. Diese passive Haltung führt nicht nur dazu, dass wertvolles Expertenwissen – etwa seltene Programmiersprachen oder spezielles Kunden-Know-how – unwiederbringlich verloren geht, sondern hemmt zugleich das Innovationspotenzial.

Wer den Generationswechsel nicht nur adminstativ begleiten, sondern akitv gestalten will, setzt auf Kommunikation, smarte Übergangsmodelle, Wissenstransfer, Weiterbildung und Weiterbeschäftigung. © GettyImages 2160995035
Unterschätztes Potenzial im Übergang zwischen Job und Ruhestand
Das eigentliche Problem liegt nicht darin, dass Unternehmen den Wert ihrer Fachkräfte nicht erkennen. Im Gegenteil: Laut der Hays-Studie „Expertise kennt kein Alter“ sehen 53 Prozent von rund 500 befragten Entscheiderinnen und Entscheidern die umfangreiche Berufserfahrung älterer Beschäftigter als unschätzbaren Vorteil, gefolgt von deren hohem fachlichen Know-how (41 Prozent) und deren Zuverlässigkeit (36 Prozent). Dennoch sind sich viele offenbar nicht darüber bewusst, welches Potenzial sie in der Übergangsphase zwischen Job und Ruhestand verschenken. „Das Fundament für ein solches Verhalten liegt im etablierten defizitären Altersbild unserer Gesellschaft – und damit auch in deutschen Unternehmen. Der Blick auf ältere Beschäftigte entspricht dabei längst nicht mehr der Realität“, meint Frank Leyhausen, Geschäftsführer der Beratung Ageforce One, die Arbeitgebende und Arbeitnehmender dabei unterstützt, den Übergang in den Ruhestand zu planen.
Gerade die Phase des Generationenwechsels bietet eine echte Win-Win-Situation – für Beschäftigte aller Altersgruppen und für das Unternehmen selbst. Denn altersgemischte Teams können ihre Kompetenzen ideal ergänzen, eine Kultur der intergenerationellen Zusammenarbeit fördern und dem Arbeitgeber dadurch einen erheblichen Mehrwert bieten. Unterstützt wird dies durch die Hays-Erhebung, nach der rund 37 Prozent der über 60-Jährigen keinerlei Einschränkungen in der Lern- oder Leistungsfähigkeit sehen.
Führung altersgemischter Teams: von Stereotypen zu Synergien
Allerdings scheint die Ausgestaltung der Führung altersgemischter Teams noch eine große Unbekannte zu sein. „Führungskräfte müssen sich dazu vorbehaltlos auf die Sichtweisen der verschiedenen Altersgruppen einlassen, deren Sozialisierung und Erfahrung in der Arbeitswelt berücksichtigen und diese gleichzeitig moderieren“, weiß Leyhausen. „Dabei müssen alle Gruppen gleichwertig behandelt werden. Wenn die Teammitglieder ihre Gemeinsamkeiten erkennen und die Kompetenzen der anderen verstehen, können sie ein gemeinsames Ziel erreichen.“ Überholte Bewertungsmaßstäbe und stereotype Annahmen wirken dabei absolut kontraproduktiv. „Kompetenzen werden häufig zu stark mit digitalen Tools oder agilen Arbeitsmethoden verknüpft und an den jungen Beschäftigten ausgerichtet. Erfahrungswissen, Prozessverständnis oder soziale Stabilität, relevante Fähigkeiten der älteren Beschäftigten, werden hingegen oft unterschätzt“, weiß auch Tatiana Kitschke, Projektmanagerin bei Hays für Expert+ – ein Programm, mit dem der Personaldienstleister im Zuge der Arbeitnehmerüberlassung attraktive und zuverlässige Rahmenbedingungen für Unternehmen schafft, die die Karrieren von Mitarbeitenden auch nach deren Renteneintritt verlängern möchten.
Die Führungskräfte tragen laut der Experten eine hohe Verantwortung dafür, ob und wie das Wissen der Älteren wertschätzend und sinnvoll genutzt werden kann. Schließlich sind das Fachwissen und die sozialen Kompetenzen von Seniorfachkräften ein unverzichtbarer Baustein für Innovationen. Dieses wertvolle Gut sollten Unternehmen nicht vorschnell in den Ruhestand schicken.
Erfahrungswissen sollte neu gedacht werden
Frank Leyhausen plädiert dafür, Erfahrungswissen speziell in der Übergangsphase ganz neu zu denken. Seiner Erfahrung nach ist das Thema Ruhestand bisher noch kein fester Bestandteil von Mitarbeitergesprächen oder der Karriereplanung in der zweiten Lebenshälfte. Weder das Unternehmen noch Arbeitnehmende machten sich fundierte Gedanken über die Art des Wissenstransfers in der Vorbereitung auf den Weggang. „Dadurch entsteht eine lose, unkonkrete Situation. Arbeitnehmer schieben wichtige Entscheidungen vor sich her und Arbeitgeber wissen nicht recht, wie sie das Erfahrungswissen am besten binden sollen.“
Maßnahmen für einen wirksamen Generationenwechsel
- Frühzeitige Kommunikation: Führungskräfte sollten das Thema „Rentenübertritt“ aktiv adressieren und in ihre Mitarbeitendengespräche einbeziehen. Je früher beide Seiten eine klare Vorstellung davon haben, wie es für Mitarbeitende vor und nach dem Renteneintritt weitergehen kann, umso individueller kann diese Zeit geplant werden.
- Gestaltung von Übergangsmodellen: Personalverantwortliche und Vorgesetzte sollten prüfen, welche Beschäftigungsmodelle es für die älteren Menschen im Unternehmen gibt (z.B. Altersteilzeit, Late Career Building), um die Arbeitszeit stufenweise reduzieren zu können und einen gleitenden Übergang zu ermöglichen.
- Wissenssicherung: Personalverantwortliche und Vorgesetzte sollten zudem prüfen, über welche Programme, das Know-how der älteren Beschäftigten am sinnvollsten weitergegeben werden kann (z.B. Age Tandems, Reverse Mentoring, Wissensdatenbanken)
- Anpassung Weiterqualifizierung: Je nach Stärken und Neigungen der Mitarbeitenden können spezifische Schulungsprogramme helfen, den Wissenstransfer zu unterstützen oder neue berufliche Perspektiven aufzuzeigen (digitale Growth-Plattform)
- Weiterbeschäftigung: Gespräche über Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung nach dem Renteneintritt (z. B. in Arbeitnehmerüberlassung). Das kann über die Beschäftigung bei einem spezialisierten Personaldienstleister geschehen.
Altersvielfalt als integraler Teil der Unternehmenskultur
Beim E-Commerce Händler Otto hat man schon früh erkannt, welchen Wert ältere Beschäftigte und ihre Bedürfnisse haben. „Wir bieten seit Langem alle zentralen Maßnahmen für ein gesundes Altern im Beruf“, sagt Dr. Leonie Koch, Content-Managerin und Expertin für Age Inclusion. Dazu zählen Gesundheitsmanagement, Altersvorsorge, flexible Arbeitsmodelle oder Jobsharing, die sowohl Vereinbarkeit als auch Arbeit in Teilzeit ermöglichen. So kann etwa eine erfahrene Führungskraft, die demnächst aus einer verantwortungsvollen Position ausscheidet, ihr Wissen in einer definierten Übergangsphase an eine jüngere Kollegin oder einen jüngeren Kollegen weitergeben. Damit bleibt wertvolles Erfahrungswissen im Unternehmen und die scheidende Person erfährt entsprechende Wertschätzung für ihre Leistungen.
Altersvielfalt ist als Teil von Diversität seit Jahren fester Bestandteil der digitalen Weiterqualifizierung, der Führungsleitlinien und der Unternehmenskultur. Schon vor fast zehn Jahren initiierte Leonie Koch das interne Graswurzel-Netzwerk #experienced, das sich der Altersvielfalt und der generationenübergreifenden Zusammenarbeit widmet. Rund 450 Kolleginnen und Kollegen aus der Community tauschen sich hier in Veranstaltungen darüber aus, wie Karrieren in der zweiten Lebenshälfte möglichst individuell gestaltet werden können. Sie treiben Age Diversity in der internen und externen Kommunikation voran, entwickeln Ideen für sogenannte Late Careers (Personalentwicklung rund zehn Jahre vor dem Offboarding) und setzen sich für eine wertschätzende Übergangsplanung in den Ruhestand ein.
Generationenwechsel als strategischer Erfolgsfaktor
Kochs Überzeugung nach wird der Generationenwechsel dann zur echten Chance, wenn Altersdiversität nicht als reine Imagefrage, sondern als strategischer Erfolgsfaktor verstanden wird. Der von Koch geprägte Begriff des „Greywashings“ verdeutlicht, wie schnell Unternehmen Gefahr laufen, durch moralische Appelle oder dekorative Darstellungen von Seniorfachkräften lediglich ein geschöntes Bild zu erzeugen. Solche Fassadenlösungen bleiben jedoch oberflächlich und schaffen keinerlei nachhaltige Wirkung. Gefordert sind stattdessen strukturell verankerte, überprüfbare und messbare Maßnahmen, die die Zusammenarbeit der Generationen authentisch fördern. Denn wenn die lebensphasengerechte Entwicklung der Mitarbeitenden nicht als bloßes Zugeständnis, sondern als bewusste Investition in das kollektive Unternehmenswissen verstanden wird, entstehen daraus langfristige Vorteile für alle.

Leonie Koch
Zur Person Dr. Leonie Koch
Dr. Leonie Koch ist Content Managerin bei Otto GmbH & Co KGaA in Hamburg. Seit zehn Jahren fördert die Kulturanthropologin ehrenamtlich als Age Diversity Angel das Thema "Altersvielfalt & Generationenzusammenhalt". 2017 war sie eine die impulsgebenden Mitgründerinnen des Graswurzel-Netzwerks #experienced für Generationen-Kooperation. Als passionierte Netzwerk-Gründerin ist sie zudem Co-Gründerin mehrerer Alumni-Netzwerke sowie des unternehmensübergreifenden Meta-Netzwerks ChangeMaker50PLUS. Als Age Diversity Angel gewann sie mit ihrem ProAge-Engagement für OTTO und in der DACH-Region den renommierten Impact of Diversity Award 2025 in der Kategorie Age Inclusion.

Frank Leyhausen
Zur Person Frank Leyhausen
Frank Leyhausen ist Geschäftsführer der Beratung Ageforce One in Köln. Er berät Unternehmen, Behörden und gemeinnützige Organisationen zu den Chancen und Herausforderungen einer alternden Gesellschaft.
Hinweis
Bei der Stellenbesetzung sollte niemand aus Altersgründen bevorzugt werden. Entscheidungen sollten stets auf Basis von Fähigkeiten getroffen werden.
Weiterführende Links:
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