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Wissensarbeit
im digitalen Wandel

ZWISCHEN SELBSTVERWIRKLICHUNG
UND SELBSTAUSBEUTUNG

Interview mit Dr. Josephine C. Hofmann
Leiterin Team Zusammenarbeit und Führung, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO

Wissensarbeit in der VUCA-Welt: Wie verändert sich die Wissensarbeit und deren Bedeutung im Zuge der Digitalisierung?

Eine der größten Herausforderungen für die Mitarbeiter heute ist der Umgang mit Unsicherheit: Was mache ich morgen und übermorgen, welchen Job werde ich dann haben – werde ich mit meinen Kenntnissen und Fertigkeiten da überhaupt noch gebraucht? Diese Herausforderung wird tendenziell noch zunehmen. Die Frage ist ja schließlich, welcher Anteil meiner Wissensarbeit sich zukünftig auch über Maschinen bzw. Algorithmen ausführen lässt. Und: Reichen meine Fertigkeiten aus, um mich gegenüber der internationalen Konkurrenz durchzusetzen? Gibt es ggf. bereits anderswo Wissensarbeiter, welche die neuen Themen noch kreativer und schneller anpacken?

Die Wissensarbeiter stehen in der sich immer schneller verändernden Welt vor der Frage, worauf sie sich spezialisieren sollen und wie sie ein für künftige Herausforderungen belastbares Netzwerk aufbauen. Sich für neue Themen zu öffnen, um Anpassungsfähigkeit zu gewährleisten, klingt in der Theorie einfach, fällt aber in der Praxis sehr schwer. Schließlich sind die Wissensarbeiter mit aktuellen Themen in ihren Organisationen in der Regel bereits voll ausgelastet.

Letztlich steht damit auch das Zutrauen der Fachkräfte in die Unternehmen auf dem Prüfstand: Bietet mir meine Organisation die Möglichkeit, mich und meine Kompetenzen neu auszurichten? Wird sie mich, wenn meine aktuellen Kompetenzen einmal weniger gefragt sind, darin unterstützen, neue Felder zu erschließen – auch wenn ich ggf. schon zu den älteren Mitarbeitern zähle? Die Menschen suchen nach Sicherheit. Entsprechend hinterfragen sie, ob ihre Organisation ausreichend gut aufgestellt ist und strategisch in die richtige Richtung geht sowie wie sie mit den Mitarbeitern im Zuge der Veränderungen umgeht.

Ermächtigung der Mitarbeiter oder Digitaler Taylorismus*: Wohin tendieren die Unternehmen bei der Ausrichtung von Kultur, Führung und Organisation sowie beim Technologieeinsatz im Zuge des digitalen Wandels?

Ich sehe beide Richtungen: Viele Unternehmen, die auf die Loyalität und Performance der Wissensarbeiter angewiesen sind und im harten Wettbewerb um die Fachkräfte stehen, nehmen moderne Führungs- und Organisationsansätze sehr ernst – und rücken die Mitarbeiter stärker in den Fokus. Dahinter steckt allerdings weniger Idealismus als vielmehr die Einsicht, dass sie ansonsten kreative Köpfe verlieren würden.

Umgekehrt beobachten wir in einzelnen Unternehmen auch, dass hinter der schönen New-Work-Fassade hart agiert wird. Da wird nach außen mit Vertrauensarbeitszeit geworben. Für die Mitarbeiter intern heißt es dagegen, bitte schön auch so lange zu arbeiten, bis die ambitionierten Ziele erreicht sind – ganz gleich, ob damit die gesetzlichen Arbeitszeiten überschritten werden. Zeitsouveränität und Selbstmanagement klingen auf den ersten Blick gut. Solche Konzepte können aber leicht nach hinten losgehen, wenn einerseits die Verantwortung komplett an die Mitarbeiter abgegeben wird, diese aber andererseits keinerlei Entscheidungsgewalt haben.

Die Unterschiede bei der Realisierung moderner Organisationsansätze lassen sich zum Teil auf die verantwortlichen Personen, aber mindestens ebenso auf das aktuelle Markt- und Wettbewerbsumfeld, einschließlich der aktuellen Arbeitsmarktsituation, zurückführen. Anders gesagt: Die Notwendigkeit und Fähigkeit zur Gestaltung von Organisationen in Richtung New Work lässt sich nicht losgelöst von der wirtschaftlichen Situation der Unternehmen betrachten.

Ihre Tipps für Wissensarbeiter und Führungskräfte?

Für die Wissensarbeiter erscheint es heute wichtiger denn je, die Augen offen zu halten und flexibel zu bleiben – und dabei auch zu verstehen, dass es in den zunehmend volatilen Umgebungen keine Bestandsgarantien gibt und man für die eigene Entwicklung mitverantwortlich ist. Das ist sicher stressig, gehört aber auch ein Stück weit dazu. Gerade von Wissensarbeitern, die ein hohes Ausbildungsniveau und ausgeprägte intellektuelle Fähigkeiten mitbringen – und deshalb auch den höheren Verdienstgruppen angehören –, kann man dieses hohe Maß an Selbstverantwortlichkeit, Entwicklungsfähigkeit und Resilienz m. E. auch erwarten.

Eine aktive Wahrnehmung der Eigenverantwortung durch die Wissensarbeiter ist auch wichtig im Verhältnis zu den Führungskräften, die eben nicht (mehr) alles richten und regeln können. Eine moderne Führung braucht eben auch mitdenkende Menschen! Die Führungskräfte selbst stehen vor einer Gratwanderung. Auf der einen Seite sollten sie offen damit umgehen, dass auch sie verunsichert sind und nicht alles wissen. Auf der anderen Seite sollten sie Zuversicht verbreiten und vermeiden, noch mehr Unsicherheit in der Organisation zu stiften. Ein gewaltiger Anspruch.

Das Interview führte Dr. Andreas Stiehler.

 

 

* Das von dem Ingenieur Frederick Winslow Taylor Anfang des 20. Jh. entwickelte Prinzip der wissenschaftlichen Betriebsführung beinhaltet u.a. die Trennung von ausführender und planerischer Tätigkeit sowie die Optimierung der Prozesssteuerung durch standardisierte Arbeitsabläufe. Kritik erfuhr dieses System vor allem durch die Aufteilung der Arbeit in immer kleinere Aufgaben, die zu Monotonie und Entfremdung vom eigentlichen Produkt führten.

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